Menschen

Im Fadenkreuz des rechten Terrors

Im Fadenkreuz des
rechten Terrors

Das Projekt »Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors« ist eine Kooperation von zehn Regionalmedien in Zusammenarbeit mit dem WEISSEN RING e.V., unter Leitung des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV.

Die 57 Porträts, die auf dieser Webseite zu sehen sind, bilden das Herzstück unseres Projekts. Es handelt sich um Menschen, die Neonazis und Rechtsextreme auf sogenannte »Feindeslisten« setzten. Es sind Lehrerinnen, Politiker, Journalistinnen, Wissenschaftler. Sie sind unsere Gesellschaft. Sie haben Träume, Wünsche und eine Vergangenheit. Wir wollen ihnen ein Gesicht und eine Stimme geben. In Deutschland stehen mehr als 20.000 Menschen auf solchen Listen.

CORRECTIV blickt mit »Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors« außerdem auf die Lage in Deutschland: Mehr als 15 Journalistinnen und Journalisten regionaler Medien erfassen das Ausmaß und die Komplexität des rechten Terrors. Wir zeigen, welche Strategien Rechtsextreme nutzen, um Angst zu verbreiten und warum die politische Aufarbeitung nicht ausreicht. 

Mit dem Projekt wollen wir vor allem warnen: Wenn es uns als Gesellschaft nicht gelingt, rechtem Terror entschlossen entgegenzutreten, wird er uns auseinander treiben und voneinander entfremden. Er wird uns das kostbarste nehmen, was wir haben: die Menschen um uns herum.

Begleitend zu dieser Webseite erscheint ein gleichnamiges Buch. Die 57 Porträts zeigen wir außerdem in einer Wanderausstellung quer durch Deutschland.

Auf den Feindeslisten

57 Portraits – 57 Geschichten

Helin Evrim Sommer

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Karl
Lauterbach

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Filiz
Polat

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Udo
Steinbach

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Karamba
Diaby

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Bertold
Höcker

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Manfred
Schade

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Sabine
Leutheusser-
Schnarrenberger

zum Portrait

Aiman A.
Mayzek

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Joachim
Treiber

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Jochen
Ott

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Sebastian
Leber

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Silke
Wagner

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Günter
Morsch

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Ferda
Ataman

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Omid
Nouripour

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Wolfgang
Albers

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June
Tomiak

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Lutz
Eickholz

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Marian
Offman

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Ilana
Katz

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Joachim
Polzer

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Amira
El Ahl

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Ferat
Kocak

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Aki Alexandra
Nofftz

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Mehmet Gürcan Daimagülar

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Cem
Özdemir

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Michaele
Sojka

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Till
Eckert

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Lasse Petersdotter

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Anetta
Kahane

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Andreas
Geisel

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Sascha
Roncevic

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Kirsten Patzig

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Paul Ziemiak

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Lale Akgün

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Helge Lindh

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Andrea Dernbach

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Thomas Dudzak

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Jean Peters

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Sigmount A. Königsberg

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Sarah Diehl

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Serap Güler

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Franz-Josef Overbeck

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Marco Bülow

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Mohammad Farokhmanesh

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Kevin Kühnert

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Gina Pietsch

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Belit Onay

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Julian Feldmann

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Anne Helm

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Harald Noack

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Heinz Ostermann

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Sevim Dağdelen

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Alfred Denzinger

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Daniel Bax

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»In der Türkei durften meine vier Geschwister und ich nur in unserem Haus kurdisch sprechen. Draußen wäre es zu gefährlich gewesen. Die Sprache war verboten. 1980 sind wir dann als Familie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus der Türkei geflohen. Ich war neun Jahre alt. Ich glaube, ohne die Flucht wären wir heute nicht mehr am Leben. Viele Freunde, die in der Türkei geblieben sind, wurden nach dem Militärputsch umgebracht. An die ersten Worte meines Vaters auf den Straßen in Berlin kann ich mich noch genau erinnern: ‚Hêlîn, edî netirse.‘ Das bedeutet: ‚Helin, keine Angst mehr.‘ Seitdem ist Deutschland mein Zuhause. Meine sichere Heimat«

Helin Evrim Sommer

»Ich mache immer weiter. Für die weiterführende Schule bekam ich keine Gymnasialempfehlung, obwohl ich damals Klassenbester war.

Ich wechselte dann von der Hauptschule auf die Realschule und machte schließlich mein Abitur auf dem Gymnasium. Danach habe ich Humanmedizin studiert. Die ganze Zeit habe ich nebenher auf Intensivstationen gearbeitet. Das hat mich geprägt. Auch wenn man mit der Zeit abstumpft und sich an das Sterben gewöhnt, manche Schicksale prägen einen. Ich erinnere mich an einen Fall in San Antonio, Texas. Da ist ein junger Mann an Aids gestorben. Er bekam keine Luft mehr, wir mussten ihn beatmen. Zum Schluss versagte die Beatmung. In seiner Gemeinde war er sehr beliebt und sehr sportlich. Als er im Sterben lag, kamen seine Freunde, junge Männer standen um sein Bett, alle haben geweint. Ich kann mich noch genau an die Fassungslosigkeit seiner Angehörigen erinnern.«

Karl Lauterbach

»Ich lasse mir von niemandem meine Zugehörigkeit oder Loyalität zu diesem Land nehmen. Mein Vater war Einwanderer, hat als Chirurg Tausenden von Menschen das Leben gerettet. Unser Zuhause ist Bramsche. Bramsche, Niedersachsen, Deutschland — wir sind divers und vielfältig. Und das ist gut so, egal was die Ewiggestrigen sagen.

Mein Vater hat mir und meiner Schwester genauso gesagt: ‚Kinder, ihr habt alle Chancen, gegen die Ungerechtigkeiten auf der Welt vorzugehen.‘ Und genau das ist meine Motivation jeden Tag aufs Neue.«

Filiz Polat

»Ich bin Agnostiker. Ich betrachte Religionen mit Skepsis; sie haben alle auch ein Potenzial an Gewalttätigkeit. Das gilt auch für das Christentum, etwa mit Blick auf die Kreuzzüge. Aber ich sehe zugleich die wunderbaren Kulturleistungen, die Religionen hervorgebracht haben, wie die Architektur. Klar, es gibt viele Unterschiede: In der Moschee muss ich als Besucher die Schuhe ausziehen, in Kirchen kann ich sie anlassen. Ob mit oder ohne Schuhe — immer bewegt mich die Spiritualität vor Ort.

Ich spüre ein Gefühl der Hochachtung und des Respekts; jenseits von Unterschieden der Glaubenspraxis und der Politik. In ihrer Gläubigkeit sind die Menschen gleich; da gibt es keinen besseren oder schlechteren Menschen. Das ist für mich der Kern von Menschlichkeit.«

Udo Steinbach

»Meine Schwester hat viel für mich getan: Als ich noch ein Baby war, ist meine Mutter gestorben, sieben Jahre später dann mein Vater. Ich war Vollwaise. Meine ältere Schwester hat mich aufgenommen. Ich war sozusagen ihr erstes Kind. In ihrer Familie war ich nie alleine und habe mich nicht wie eine Waise gefühlt. Mir fehlte nichts. Ich habe mit den anderen auf dem Feld gearbeitet. Ich war in der Schule und habe wie alle anderen am liebsten Erdnussbuttersoße mit Fleisch gegessen.

Im Senegal ist es Tradition, dass man seine Eltern unterstützt. Ich habe mein erstes Geld lange gespart und meiner Schwester 1996 eine Pilgerfahrt nach Mekka geschenkt. Jetzt ist sie 72 Jahre alt und wohnt immer noch in unserem Dorf im Senegal.«

Karamba Diaby

»Mit fünf Jahren habe ich unter unserem Weihnachtsbaum meine erste Predigt gehalten. Eigentlich wäre ich schon gerne direkt nach der Schule Pfarrer geworden, das ging aber nicht. Ich bin schwul, und das wurde damals in der evangelischen Kirche nicht akzeptiert. Meine sexuelle Neigung zu verschweigen, wäre aber für mich nie infrage gekommen. Ich glaube, dass sich die Kirche an der Botschaft von Jesus orientieren muss, und die handelt von Nächstenliebe. Als ich 35 Jahre alt wurde, hatten sich die Verhältnisse geändert: Durch die Diskussionen um den §175 wurde Homosexualität auch von theologischer Seite neu bewertet. Endlich konnte ich Pfarrer werden. Ich traue heute homosexuelle Paare.«

Bertold Höcker

»Rechter Terror soll den konkreten Adressaten schaden, sie am besten vernichten. Er soll weitere politische Gegnern einschüchtern. Ihnen bedeuten, sie könnten die nächsten Opfer sein.«

Sebastian Leber im Buch Menschen im Fadenkreuz des rechten Terrors.

»Ich mag Spaziergänge am Meer, an der Steilküste – sie geben mir Kraft. Von meiner Gemeinde sind es nur zwanzig Kilometer. Da ist man schnell dort. Der Blick in die Weite an der Küste hat für mich auch eine spirituelle Bedeutung. Natürlich frage ich mich: Was kommt hinter dem Horizont, auch hinter dem Horizont des Lebens? Wie geht es da weiter?

Das Meeresrauschen, die Küste, die Farben des Wassers und die Spiegelungen sind zu jeder Tages- und Jahreszeit unterschiedlich. Immer gibt es etwas Neues zu entdecken; das fasziniert mich. Ich sammle gerne Steine, z. B. Hühnergötter, Versteinerungen, beobachte, wie das Wasser über den Strand gleitet oder rauscht. Und der Wind pustet mir dabei den Kopf frei.«

Manfred Schade

»Ich kann mich noch genau an meinen Studienanfang erinnern. Ich habe mich für Göttingen entschieden, weil die juristische Fakultät einen sehr guten Ruf hat. Ich stand das erste Mal auf eigenen Beinen, habe gelernt, wie man mit seinem Geld umgeht. Ich wollte immer selbstständig sein und hatte verschiedene Aushilfsjobs. Irgendwie musste der graue VW-Käfer bezahlt werden. Außerdem wollte ich auch mal andere Sachen essen als Knäckebrot und Milchreis. Ich hatte auch einen Freund. Den durfte ich nachts nicht besuchen. Es gab da dieses Kuppelei-Verbot. Vermieter durften nicht zulassen, dass unverheiratete Menschen privat beisammen waren. Heute ist so ein Besuchsverbot kaum vorstellbar. Damit das so wurde, mussten wir viele alte Zöpfe abschneiden.«

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

»Ich habe viele Lieblingsbücher. Jetzt mit 51 Jahren ertappe ich mich dabei, dass ich noch mal Bücher aus meiner Jugend lese. Aber es ist, als läse ich sie mit anderen Augen. Zum Beispiel Faust von Goethe. Damals mit 20 Jahren dachte ich geradezu anmaßend, dass ich alles verstanden hätte. Heute verstehe ich das Buch ganz anders. Mit 70 Jahren werde ich – wenn ich noch lebe – es noch mal lesen. Ich bin gespannt, was dann herauskommt.«

Aiman A. Mayzek

»Meine Arbeit im Altenheim hat sich während der Pandemie komplett verändert. Das habe ich realisiert, als ich die Eingangstür zu unserem Heim zuschließen musste und wir keine Besucher mehr reingelassen haben. Unser Haus sollte immer ein lebendiger Ort sein, wo alte Menschen Spaß haben und leben. Und dann durfte plötzlich niemand mehr rein, die Tür ging zu und alles war still. Da dachte ich: Was passiert hier eigentlich gerade? Alles in mir hat sich gegen diesen Schritt gesträubt und gleichzeitig wusste ich, dass es nicht anders geht.«

Joachim Treiber

»Ich habe meinen Vater verloren, wir haben unsere Familienangehörigen verloren. Lasst uns verhindern, dass das auch anderen Familien passiert.«

Semiya Şimşek am 23. Februar 2012

»Ich habe seit zwei Jahren einen Goldendoodle, ein tolles Tier. Ich wollte ihn eigentlich Schröder nennen nach dem Kanzler, aber das fanden meine Kinder nicht so toll. Jetzt heißt er Kennedy – wie der Präsident. Wir haben ihn als Welpen bekommen, jetzt ist er schon 24 Monate alt. Ich bin viel mit dem Hund unterwegs an der frischen Luft und beobachte ihn gerne beim Laufen. Früher hätte ich nicht gedacht, dass mir das so ein gutes Gefühl gibt.«

Jochen Ott

»Ich liebe es, wenn mich jemand beleidigen will und dann ‚Du Hund‘ zu mir sagt. Das nehme ich als Kompliment. Hunde haben Superkräfte.

Etwa die Fähigkeit, es sich jederzeit und überall bequem zu machen, selbst auf tristem Asphalt. Ich sah noch keinen Hund, der je ungemütlich lag. Sie sind auch Meister darin, vor Supermärkten zu warten. Sich würdevoll hinterm Ohr kraulen zu lassen. Die Macken anderer zu tolerieren. Hunde machen immer das Beste draus. Manche empfinden so viel Lebensfreude, dass sie nicht anders können, als flummigleich in die Luft zu springen. Die Freude muss dann irgendwohin. Es ist eindeutig: Auf meiner Liste der besten Lebewesen rangiert der Hund noch vor Alpakas und den Hängebauchschweinen.«

Sebastian Leber

»Um runterzukommen, fahre ich sehr gerne Zug. Ich steige vor dem Sonnenaufgang ein und erlebe dann die Dämmerstunden in der Bahn. Ich liebe diese friedliche Stimmung, manche lesen oder arbeiten, einige schlafen. Da kann ich gut nachdenken. Zu hause wartet meine Hündin Juni auf mich. Sie ist schon 14 Jahre alt. Früher war sie wirklich 100 Volt, hat immer viel Quatsch gemacht, jetzt ist sie ruhiger geworden. Ich setze aber darauf, dass sie mindestens 19 Jahre alt wird.«

Silke Wagner

»Im Brandenburger Speckgürtel, dicht am Stadtrand von Berlin, gibt es vielfältige Möglichkeiten, Natur und Kultur gemeinsam oder nacheinander als eine Einheit zu erleben. Ich schätze die Einsamkeit in den brandenburgischen Wäldern, die Stille über den zahlreichen Seen und die Weite der heideähnlichen Landschaft unter dem leicht bewölkten, blauen Himmel sehr. Im Frühjahr und Herbst landen zu Tausenden Kraniche auf Wiesen und Feldern.«

Günter Morsch

»Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Wir müssen Rassismus benennen und wir müssen rassistische Strukturen benennen, erkennen und abbauen.«

Serpil Temiz Unvar in einem Interview mit Sophia Stahl aus dem Buch Menschen im Fadenkreuz des rechten Terrors.

»Wäre es nach dem bayerischen Schulsystem gegangen, wäre ich eigentlich in einer sogenannten Türkenklasse gelandet.

Gastarbeiterkinder sollten damals nicht mit deutschen Kindern gemischt werden. Das Konzept der Achtzigerjahre lautete: bereithalten zur Heimreise. Dass ich trotzdem in eine Regelklasse und später aufs Gymnasium kam, habe ich allein dem Protest meiner Mutter zu verdanken. Von ihr habe ich gelernt, nicht alles hinzunehmen und mich für gleiche Rechte für alle einzusetzen.«

Ferda Ataman

»Mit 17 Jahren habe ich für Rap Feuer gefangen, und das brennt immer noch. Rap ist wütend und schreit nach Gerechtigkeit. Meine damalige Freundin hatte mir sogar eine Mütze gestrickt mit meinem Künstlernamen MC Omid. Die Mütze habe ich immer noch. Natürlich hätte ich gerne einen Plattenvertrag bekommen, welcher Musiker will das nicht?

Aber ich war echt nie Weltklasse, ich rappe eher so vor mich hin. Wenn ich nachts aufwache, fällt mir manchmal ein dreisilbiger ‚Rhyme‘ ein.

Den spreche in dann schnell in meinen Sprachrekorder im Handy. Eigentlich soll daraus ein Lied werden, aber das geht schon seit zehn Jahren so.«

Omid Nouripour

»In den 70er Jahren bin ich in einem evangelischen Internat aufgewachsen. Die Härte und Strenge des Alltags dort hat mich sicher geprägt, aber auch weg von meinem Glauben getrieben. Erst als ich dann Ende der 80er Jahre in der DDR einen Pfarrer kennenlernte, der Glauben menschlich und überzeugend lebte, fand ich zurück. Heute engagiere ich mich ehrenamtlich in der evangelischen Kirche im Rheinland.«

Wolfgang Albers

»Mein Alter hat bei anderen Abgeordneten schon immer zur Verwirrung geführt, ich bin jetzt 24. Als ich im Berliner Parlament mit 19 Jahren anfing, war ich mit Abstand die Jüngste. Bei der ersten Sitzung vom Innenausschuss war ich zu früh.

Überpünktlich zu sein, ist ein Kapitalfehler in der Politik. Aber das wusste ich da noch nicht. Lange saß ich alleine am u-förmigen Tisch. Dann kam ein älterer Kollege in den Raum. Er hat mich irritiert angeschaut und gesagt: ‚Entschuldigung, aber Gäste sitzen hinten.‘ Ich blieb sitzen und ging nicht weg.

Irgendwann hatte er dann auf das Rätsel die Lösung.«

June Tomiak

»Doch wo beginnt die Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg? Welche Formen hat er über die Jahre angenommen? Wie haben sich die Akteure organisiert, welche Ideologien bestimmten ihr Handeln?«

Alexander Roth im Buch Menschen im Fadenkreuz des rechten Terrors.

»Einen Hang zum Blaulicht-Milieu hatte ich schon immer, weil mein Vater bei der Freiwilligen Feuerwehr war. Direkt nach der Schule habe ich dann ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Krankenhaus gemacht.

Da habe ich gemerkt: Ich möchte anderen Menschen helfen. Ich fasste den Plan, die Ausbildung zum Rettungsassistenten zu machen und so bei der Feuerwehr anzuheuern. Aber ich möchte auch immer wieder neue Sachen lernen: Deswegen mache ich meinen Master in Katastrophenvorsorge und Management. Ich lerne einfach gerne dazu, andere Denkansätze finde ich spannend.«

Lutz Eickholz

»Bis April 2019 durfte ich 18 Jahre im Münchner Stadtrat sein und habe viel Zeit im schönen, im neugotischen Stil errichteten Rathaus verbracht. Langsam komme ich zur Ruhe und habe nun mehr Zeit für meine Familie. Ich lese viel und versuche, einige Erinnerungen aufzuschreiben. Ich stehe nun nicht mehr so in der Öffentlichkeit, werde aber nach wie vor mit antisemitischen Vorwürfen konfrontiert. Unlängst sagte eine Dame vor Zeugen, Juden hätten keine Menschenrechte. Aktuell wird im Rathaus beantragt, dass ich zum städtischen Beauftragten für den interkulturellen Dialog beauftragt werden soll. Ich freue mich auf diese wichtige Aufgabe.«

Marian Offman

»Die meisten Senioren, mit denen ich arbeite, haben ihre Heimat verloren, einige kommen aus der Sowjetunion, manche von ihnen sind Holocaust Überlebende. Ein Weg, ihre Geschichten zu erzählen, ist, mit Fotos zu arbeiten. Mit einer alten Dame haben wir ein Bild von früher nachgestellt, sie hatte dort blanke Schultern und trug wunderschönen Goldschmuck. Für das neue Foto zog sie ihre Bluse runter und zeigte ihre nackten Schultern. Der Fotograf meinte: ‚Sie müssen sich nicht ausziehen.‘ Sie antwortete darauf: ‚Wieso? Ich habe doch sehr schöne Schultern.‘ Da war ich erstaunt.«

Ilana Katz

»In meinem stressigen Alltag als Koch und Möbelpacker finde ich Ruhe in der Natur. Zum Beispiel in Wäldern oder am Lagerfeuer. Ich verbringe dann viel Zeit mit meiner Tochter, das ist mir das Wichtigste. Ich schwimme gerne im See und sammle begeistert Pilze, seit ich fünf Jahre alt bin. Ich habe das früher immer mit meinen Eltern im Bayerischen Wald gemacht und versuche heute, diese Leidenschaft an
meine Tochter weiterzugeben.«

Joachim Polzer

»Gäste zu haben ist für mich seit der Kindheit selbstverständlich. Meine Eltern hatten ein Café und ein Restaurant. Als Familie haben wir direkt über unserem Café gelebt. Zusammen mit meinen Freunden verbrachte ich dort viele Nachmittage. Wir haben Hausaufgaben gemacht, gelesen, geredet und gelacht. Es gab immer etwas zu essen – meistens zu viel. In der arabischen Welt habe ich gelernt, dass Essen auch eine Art der Kommunikation ist. Auch darum liebe ich es, für andere zu kochen.«

Amira El Ahl

»Als Enkelkind von Gastarbeitern identifiziere ich mich mit meiner Geburtsstadt Berlin. Berlin ist meine Liebe. Das habe ich auch erst gemerkt, als ich eine Weile in der Türkei gelebt habe. Berlin ist mein Zuhause, meine ‚Haymat‘! Ich bin nur ich selbst in Berlin. Hier kannst du mit einem Schlafanzug auf die Straße und jeder denkt: coole Designer-Klamotten. An jeder Ecke Erinnerungen, in jedem Stadtteil Familie und Freunde.«

Ferat Kocak

»Wenn in Köln die fünfte Jahreszeit beginnt, dann bin ich immer dabei. Die Karnevalswoche mache ich immer auf der Straße mit, schaue mir die Umzüge an, mal als Hexe oder im Dirndl. Ein paar Kostüme sind immer in meinem Schrank – zur Sicherheit. An einem Rosenmontag habe ich auch meinen Mann kennengelernt, jetzt können wir immer zusammen feiern. Was ich aber nie wieder tun werde, ist, am Aschermittwoch zu arbeiten, das ist kein guter Tag. Man muss sich ja auch etwas vom Feiern erholen.«

Aki Alexandra Nofftz

»Meine Eltern kamen nach Deutschland, damit wir Kinder es einmal besser haben würden. Sie arbeiteten hart, am Hochofen im Stahlwerk, an den kochenden Kesseln in der Gerberei, im Akkord am Fließband. Einmal im Jahr ging es zur Ausländerpolizei, damit unsere Aufenthaltsgenehmigung verlängert wurde. Oft ging ich mit, das Deutsch meiner Eltern war nicht so gut. Mein Vater zog sich dann immer seinen einzigen Anzug an und band ganz sorgfältig seine Krawatte. Beim Amt mussten wir meistens lange warten, und mit jeder Minute wuchs die Nervosität meines Vaters. Wenn irgendwelche Unterlagen fehlten – und es fehlten immer irgendwelche Unterlagen –, wurde mein Vater angeschnauzt. Mein Vater entschuldigte sich immer, so gut er konnte, und verhielt sich so unterwürfig wie nur eben möglich. Mein sonst so stolzer Vater! Mit jedem Jahr machte es mich wütender, und mit jedem Jahr verlor ich ein bisschen mehr den Respekt ihm gegenüber, und natürlich spürte er das. Als ich 16 war, starb mein Vater schließlich. In vier Jahren werde ich so alt sein wie mein Vater, als er starb. Es hat Jahrzehnte gebraucht, bis ich verstanden hatte: Mein Vater warf sich in den Staub, damit seine Kinder es irgendwann nicht mehr tun müssen.«

Mehmet Gürcan Daimagülar

»Beruflich bin ich viel in Berlin und Stuttgart, ja eigentlich im ganzen Land unterwegs. Aber meine Heimat ist natürlich Bad Urach. Da komme ich her. Mittlerweile habe ich da echt auch eine gewisse Altersmilde entwickelt. Damals, als ich für die Erzieherausbildung wegkonnte, habe ich die Chance natürlich genutzt. Nichts wie weg. Heute gehe ich mit meinen Kindern regelmäßig nach Urach und erzähle ihnen immer, welche paradiesische Kindheit ich dort hatte. Die erleben ihre Kindheit ganz anders, in der Großstadt. Meine Mutter lebt heute noch in Urach und ist eine echte Lokalpatriotin. Wehe, jemand sagt was gegen Urach – dann gibt’s richtig Ärger.«

Cem Özdemir

»Ich hatte für meine Familie immer wenig Zeit, als ich noch gearbeitet habe. Wünsche meiner Enkel haben meistens die anderen Omas erfüllt. Mit meinem Ruhestand hat sich das verändert: Jetzt male ich auch Ostereier an oder backe Schokoladenkuchen und fahre den Kinderwagen des fünften Enkelkindes aus. Meine Eltern und ich wohnen in einem Mehrfamilienhaus seit meiner Kindheit. Seit mein Vater tot ist, sind wir mehr aufeinander angewiesen. Meine Mutter ist nun fast blind, aber hat noch so viel zu erzählen. Ich habe nun Zeit und kann ihr zuhören. Sie erzählt mir all die Geschichten über den Krieg, unsere Familiengeschichte und meine Kindheit. Vor 30 Jahren hätte ich nicht den Nerv zum Zuhören gehabt. Jetzt begreife ich es als das größte Geschenk.«

Michaele Sojka

»Ich habe in den vergangenen Jahren meine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt. Auch wenn das ausgelutscht klingt, hat es mir insbesondere die italienische Küche angetan. Es macht mir Riesenspaß, da Tricks zu lernen und neue Kombinationen aus Zutaten auszuprobieren. Umso besser, wenn ich damit Freunde erfreuen kann. Die liebe ich nämlich mindestens genauso sehr wie Essen.«

Till Eckert

»Ich lebe seit meiner Geburt vor 30 Jahren im Norden. Dabei erfülle ich viele Klischees nicht: Ich kann wahnsinnig schlecht schwimmen, ich habe nicht mal das Seepferdchen. Trotzdem bin ich gerne an der Küste geblieben, auch wenn es nicht komplett freiwillig war. Nach der Schule hatte ich nicht wirklich das Geld, um wegzuziehen. Das gehört zur Wahrheit dazu. Aber ich mag es hier. Es ist gelassen und bodenständig, wir haben in Kiel keine sichtbare High Society, die auf Schickimicki macht. Woanders ist das schon ein ganz anderer Schnack. Wir haben hier den Wind, die Möwen und das Meer, das reicht.«

Lasse Petersdotter

»Ich freue mich immer auf jüdische Feiertage wie Rosch Haschana. Ich mag es, mit der Familie zu essen, Kerzen anzuzünden, und die Besuche. Es gibt eine schöne Tradition, bei der man überlegt, was man loslassen will aus dem vergangenen Jahr. Da wirft man Brotkrumen – bei mir war es ein Herbstblatt – in einen Fluss, und der trägt das Vergangene davon. Ich hab am Tag nach einem solchen Fest eine alte Bekannte, über die ich mich sehr geärgert hatte, angerufen und gefragt, ob wir nicht mal wieder einen Kaffee trinken gehen wollen. Das war auf einmal ganz leicht, ich dachte mir: Was soll‘s, wir machen weiter.«

Anetta Kahane

»Ich möchte über Musik sprechen. Ich erinnere mich noch sehr gut an ein Konzert der Rolling Stones in Prag.  Über 100.000 Menschen haben sich das Konzert im Jahr 1995 live angeschaut. Ich stand hinten und konnte trotz meiner 1,89 Meter nur wenig sehen. Das war Rock für mich, das wilde Leben, tanzende Menschen. Heute höre ich lieber Johann Sebastian Bach.

Ich finde, man braucht eine gewisse Erfahrung und Reife für klassische Musik. Früher habe ich sie nicht verstanden, jetzt eröffnet sie mir neue Welten.«

Andreas Geisel

»Mein Vater ist 72 und braucht immer mehr Zuwendung, was natürlich auch Zeit beansprucht. Das belastet mich gelegentlich, auch wenn ich es gerne mache. Seit über sechs Jahren gehe ich praktisch jeden Sonntag zu ihm und koche. Darauf freut er sich immer, weil es dann Hausmannskost gibt. Am liebsten mag er Hähnchenschenkel mit Ofenkartoffeln, ich mache gerne auch mal einen Braten oder Rouladen.«

Sascha Roncevic

»Lange dachte ich, ich wäre nicht für das Gastgewerbe geeignet. Jetzt liebe ich mein Lokal. Wir versuchen, so viele Produkte wie möglich regional und als Bioware einzukaufen. Wenn wir die Welt verbessern wollen, müssen wir bei unseren Gewohnheiten anfangen. In unserem Gasthof gibt es zum Frühstück die Brötchen vom Bäcker nebenan und abends einen Biowein. Einen Tee gegen Husten aus selbst angebauten Kräutern können wir auch anbieten. Ich möchte, dass meine Gaste bewusst genießen können, was gut ist.«

Kirsten Patzig

»Mein absolutes Lieblingsessen sind Piroggen, gefüllt mit Käse und Kartoffeln. Dazu eine Scheibe Brot und eine saure Gurke. Als ich das erste Mal offiziell als Abgeordneter mein Geburtsland Polen besuchte, habe ich natürlich bei den Terminen in Warschau auf das Gericht gehofft. Leider wurde mein Lieblingsessen nie serviert, es war wohl zu gewöhnlich.«

Paul Ziemiak

»Mein Mann gehört zu denen, die meinen, an Äußerlichkeiten könne man immer sparen. Irgendwann kam er auf die Idee, das Geld für den Friseur zu sparen, kaufte sich eine schrottige Haarschneidemaschine und machte mich zu seiner Friseurin. Es kam, wie es kommen musste. Er ging kurze Zeit später wie ein gerupftes Huhn zum Friseur, der den Schaden beheben musste. Am Ende bezahlte er drauf. Männer und ihre Haarschneidemaschinen halt.«

Lale Akgün

»Wir Wuppertaler müssen immer improvisieren, hier ist immer Geldnot, immer stören Baustellen. Allein die berühmte Baustelle am Döppersberg. Das zieht sich seit Jahren. Die hässlichen Bauzäune können mich echt aufregen. Ich rege mich aber auch zu gerne darüber auf – auch eine Wuppertaler Eigenart. Aber das ist nicht das Einzige, was ich mit Wuppertal verbinde. Mich überkommt immer wieder ein ganz herzliches und warmes Gefühl, wenn ich durch meine Stadt ins Büro gehe.

Hier lebe ich. Meine Heimat.«

Helge Lindh

»Seit fünf Jahren lade ich, so oft es geht, sonntags fast 50 Menschen ein, die ich in Berlin kenne und mag. Wer bis Samstag den Finger hebt, ist dabei. Mal kommen zwei, mal zwölf Leute. Diese Abende waren als Ersatz für meine Zeit mit meiner inzwischen verstreuten Familie gedacht. Sie entwickelten eine eigene Magie: Schon beim Gemüse schneiden, Teig kneten fällt die Anspannung der Woche ab. Ich fühle mich mit meinen Gästen schwerelos und zugleich eng verbunden. In diesen drei, vier Stunden erlebe ich die Unbeschwertheit, die ich als Kind kannte. Corona hat diese Tradition leider erst mal beendet. Diese Abende fehlen mir sehr.«

Andrea Dernbach

»Wenn ich Zeit finde, dann schraube ich an Fahrrädern. Ich suche im Internet nach alten Modellen aus der DDR-Zeit. Die Räder von Mifa kosten heute zwischen 20 und 150 Euro. Die mache ich dann in meinem Wohnzimmer fertig. Normalerweise sitze ich acht Stunden an einem Fahrrad. Ich muss nicht viel nachdenken, sondern nur: schrauben, aufarbeiten, polieren, speichen und Probe fahren. Die ganzen Fahrräder müssen dann natürlich auch irgendwohin, im Keller ist dafür kein Platz mehr. Ich gebe sie deswegen in der Regel einfach weiter. Ein guter Freund von mir fährt deshalb jetzt mit einem Rad aus den 80ern herum.«

Thomas Dudzak

»Ich habe mir gerade einen alten DDR-Zirkuswagen gekauft. Der war schon sehr alt, Baujahr 1965. Eine Familie aus dem Westen hatte ihn zuvor. Ich habe das Holz abgeschliffen und dann die Verkleidung neu gestrichen, alles mit meinen eigenen Händen. Teilweise stand nur noch das Gerüst des Wagens. Aber ich habe durchgehalten, obwohl ich viel neu lernen musste. Er ist jetzt meine Oase, wo ich nachdenken kann.«

Jean Peters

»Ich probiere in der Küche gerne neue Rezepte aus oder variiere bekannte Kombinationen. Manche Sachen, die ich mache, stammen noch aus meiner Studentenzeit, in der vor allem der Geldbeutel diktiert hat, was in den Topf kommt. Wenn am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig war, gab es oft Käseknödel. Wir haben erst Teig zubereitet. Danach wurde Emmentaler gerieben, Ei dazugegeben und mit Semmelbröseln zu Kugeln verknetet, die dann mit dem Teig umhüllt wurden. Dazu gab es eine scharfe Tomaten-Paprika-Soße. Dieses Rezept wird, vielfach variiert, noch heute von meiner Familie und mir gerne gegessen.«

Sigmount A. Königsberg

»Mit Mitte 30 begann ich, in Ozeanen zu tauchen. Damals wie heute hilft es sehr, mal untertauchen zu können und dabei die Vielseitigkeit von Leben in dieser Welt, Wasser und Sauerstoff noch mal neu betrachten zu können und den eigenen Körper für sich neu zu erfinden. Nicht als Weltflucht, sondern damit die Welt noch größer werden kann. Und spätestens, wenn eine Plastiktüte an dir vorbeischwimmt, wird es auch zum politischen Raum. Es ist auch ein Ort, in dem ich lernen konnte, mit Ängsten umzugehen, weshalb ich das mit einer Ausbildung zum Tauchen mit Haien verfeinert habe. Denn egal was passiert, wenn man da im Blau schwebt, hilft nur eins: Ruhe bewahren, neue Sinnesantennen wuchern lassen, Schönheit genießen und heil wieder auftauchen.«

Sarah Diehl

»Zweimal in der Woche gehe ich laufen, auch noch nach langen Arbeitstagen um neun Uhr abends. Die Strecken sind immer zehn Kilometer lang. Meine Bestzeit liegt bei 54 Minuten. Manchmal brauche ich aber auch länger als eine Stunde, das ist ganz unterschiedlich. Ich habe auch einmal Boxen ausprobiert, das hat aber zeitlich nicht funktioniert. Beim Laufen bin ich auf niemanden außer auf meine Sportschuhe angewiesen. Ich kann einfach los.«

Serap Güler

»Mit dem Aus für die Zechen ist auch für mich eine Ära zu Ende gegangen. Als Kumpel ein großes Kreuz in unseren Dom in Essen trugen und dabei Grubenlampen in den Händen hielten, hat mich das sehr bewegt. Das war das Ende. Jeder konnte es sehen, jeder fühlen. Gleichzeitig hat mich der Gedanke getröstet, dass die im Bergbau gelebten Werte auch weiterhin das Leben der Menschen im Revier prägen: Verlässlichkeit und Solidarität.«

Franz-Josef Overbeck

»Ich bin ein kleiner Rad-Fanatiker. Ich besitze in Dortmund und Berlin vier Räder, dazu noch ein Spinning-Rad in meiner Wohnung, die sind wohl zusammen mehr wert als mein Auto. Mindestens einmal pro Jahr geht es in die Berge mit dem Mountainbike, weg von der Stadt, den Autos, den Straßen. Gerne steil und hoch, ich bin keiner, der ‚hochgondelt‘, nur um dann runterzufahren. Ich quäle mich gerne, das sind schon Grenzerfahrungen. Aber wenn man da oben auf dem Gipfel steht, ist das ein absolutes Glücksgefühl.«

Marco Bülow

»Als Kind war ich sehr eigenwillig. Mit neun Jahren bin ich statt zur Mathe-Nachhilfe heimlich ins Kino gegangen. Ich kannte den Kinobetreiber persönlich. Mit meinem Taschengeld konnte ich mir meistens nur die Sondervorstellungen leisten, bei denen man zwei Filme zum Preis von einem sehen konnte. Das erste Kinoerlebnis, das mir in Erinnerung geblieben ist, habe ich aber mit meinem Vater geteilt. Ich war sechs Jahre alt und wir haben zusammen ‚King Kong‘ gesehen. Wie der Riesenaffe Jessica Lange in seiner Felsenhöhle beschützt, hat mich besonders beeindruckt. Als ich vor einiger Zeit meinen Eltern die heimlichen Kinobesuche von damals gestand, lachten sie und meinten: ‚Du hast immer das getan, was dich glücklich macht – und das ist gut so!‘«

Mohammad Farokhmanesh

»Mein Guilty Pleasure sind Vorabendserien. Schon in meiner Kindheit habe ich ARD-Schnulzen wie ‚Marienhof‘ und ‚Verbotene Liebe‘ geschaut. Jetzt sind die Serien allerdings alle abgesetzt und ich musste Ersatz suchen. Wenn ich eine Dreiviertelstunde den Kopf ausmachen möchte, gucke ich: ‚In aller Freundschaft‘, ‚Großstadtrevier‘ oder ‚Um Himmels Willen‘.«

Kevin Kühnert

»Ich halte Brecht für den vielleicht größten deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts. Seine Werke begleiten mich seit der Schulzeit. Es ist wie mit einem Lieblingsparfüm. Ich probiere auch immer mal wieder eine neue Sorte aus. Aber am Ende lande ich jedes Mal bei ihm. 35 Brecht-Abende habe ich bisher über die Bühne gebracht, drei davon als CD eingespielt, und für sein Drama ‚Mutter Courage und ihre Kinder‘ durfte ich das Audio für erblindete Personen einsprechen. Was für eine Ehre!«

Gina Pietsch

»Als Studierender habe ich ein Jahr in Russland gelebt. Zusammen mit sechs anderen Austauschstudenten habe ich in einer WG gewohnt, sie kamen aus Finnland, Schweden, Australien, und ich war mittendrin. Als sie das erste Mal meinen Namen hörten, haben sie sich gewundert, dass ich aus Deutschland komme. Ich habe dann erklärt, dass meine Eltern Gastarbeiter aus der Türkei waren. Am Ende haben sie mich gefragt, wo ich mich heimisch fühle. Aber ich konnte das nicht so einfach beantworten. Heimat ist für mich persönlich kein Singular, nicht eine Entweder-oder-Frage, sondern ein Plural.«

Belit Onay

»Ich liebe unterhaltsame Klassiker wie ‚The Big Lebowski‘ oder auch die Serie ‚Sick Note‘ mit dem großartigen Nick Frost. Über reale Verbrechen lese ich im Job schon genug.«

Julian Feldmann

»Vor zwei Jahren habe ich meinen Eltern einen Kleingarten geschenkt, die genießen das sehr. Jetzt habe ich mich auch für einen beworben und hoffe, dass ich dieses Jahr noch an einen komme. Wenn man viel in Sitzungen ist und vor allem mit dem Kopf arbeitet, ist es schön, auch mal was mit den Händen zu machen. Ich finde, Kochen ist total einfach, wenn man frische Kräuter hat, dann schmeckt es irgendwie immer. Zucchini finde ich auch super, weil sie vielseitig einsetzbar sind und so schnell wachsen. Da hat man schnell ein Erfolgserlebnis, ohne dass man Profi sein muss.«

Anne Helm

»Ich bin schon häufiger den Jakobsweg gelaufen, das letzte Mal 2017. In 30 Tagen laufe ich 800 Kilometer. Am Ziel, in der Stadt Santiago, bin ich dann einfach nur glücklich. Ich würde das Gefühl als ‚Legal High‘ bezeichnen. Mich faszinieren die verschiedenen Sprachen und die Landschaften immer wieder aufs Neue. Gerade die Wiederholung ist für mich spannend. Meine Frau sieht das anders. Ihr hat einmal Jakobsweg gereicht.«

Harald Noack

»Im Jahr lese ich ungefähr 40 Bücher, ich muss schließlich wissen, was ich in meiner Buchhandlung Leporello empfehle. Manchmal bin ich aber auch nach einer 50-Stunden-Woche zum Lesen zu müde. Dann ist mal Fernsehen angesagt und ich hänge einfach ab. Spätestens am Sonntag aber, wenn ich ausschlafen konnte, habe ich wieder Muße und Zeit zum Lesen, dann beginne ich oft ein neues Buch. Mein Lieblingsbuch ist übrigens immer noch das Jugendbuch ‚Kundschafter am St.-Lorenz-Strom‘ von Hans-Otto Meissner über den französischen Entdecker Samuel de Champlain. Nachdem ich das gelesen hatte, wollte ich nach Kanada auswandern.«

Heinz Ostermann

»Als Schülerin habe ich in Flugzeugen Toiletten geputzt, um meine Familie finanziell mit zu unterstützen. Schnell habe ich verstanden, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten. Die Arbeitsbedingungen waren hundsmiserabel, wir wurden ständig gehetzt, um schneller fertig zu werden. Am Ende haben wir uns organisiert, um uns zu wehren und für unsere Rechte zu kämpfen. Diese ersten wichtigen Erfahrungen von gegenseitiger Unterstützung und Solidarität sind prägend bis heute, wie auch das dazu passende Gedicht von Nâzım Hikmet: ‚Leben wie ein Baum, einzeln und frei, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.‘«

Sevim Dağdelen

»Tauchen kann gewaltig sein. Einmal bin ich einem Hai begegnet, er schwebte plötzlich ein paar Meter vor mir. Mir fiel ein, dass ich in einer Tauchzeitschrift gelesen hatte: Haien soll man in die Augen schauen und dann langsam auf sie zutauchen. In der Theorie weichen sie dann aus. Ich habe das versucht, ganz nach der Regel. Der Hai ist mir aber nicht ausgewichen. Ich musste abdrehen und dem riesigen Tier meinen Rücken zuwenden. Das war echt unangenehm. Ich hatte keine Kontrolle mehr – zum Glück ist aber nichts passiert.«

Alfred Denzinger

»Mein Vater ist Holländer, meine Mutter ist Deutsche, geboren bin ich in Brasilien. Als ich im Alter von sechs Jahren mit meiner Familie in das 70er-Jahre-Deutschland zog, hatte ich einen richtigen Kulturschock. Mir fehlte die Wärme, in jeder Hinsicht. In Brasilien konnte ich als Kind einfach so zu den Nachbarn gehen, um deren Kinder zu treffen. In Deutschland war das nicht üblich, da musste man sich vorher anmelden. Die Menschen waren eher auf Abstand bedacht.«

Daniel Bax

»Ich bin einer dieser schrecklichen Menschen, die immer Bücher schreiben wollen. Mit acht Jahren habe ich mein erstes Buch an einen Verlag geschickt. Es sollte ein Kinderlexikon sein, der Titel lautete: ‚Amazing book of plants‘. Mit 16 Jahren folgte der zweite Versuch, da hatte ich schon eine Schreibmaschine – allerdings ohne Ausrufezeichen. Ich dachte mir, dann schreibe ich eben eine Liebesgeschichte, dafür brauche ich keine Ausrufe oder Spannung. Ein paar Jahre später, im Jahr 2011, habe ich dann mein erstes Buch verkauft. Mit Ausrufezeichen.«

Jacinta Nandi